Autor: Prof. Dr. Gerald Lembke
Es fing bei mir 1987 an. In diesem Jahr machte ich nicht nur endlich mein Abitur, sondern ich verkaufte das erste Mal über einen Kleinanzeigenmarkt auf einer BTX Seite der Telekom die Schrottautos vom Schrottplatz eines Freundes. Dieses hätte ohne digitales Netzwerk damals nicht erfolgreich sein können. Tolle Chancen und neue Möglichkeiten, die sich fortan in meinem Kopf festsetzten und mich zu einem digitalen Pionier, aber auch technischen Kautz werden ließen.
Vieles von diesem Spirit hat sich bis heute gehalten. Jeder kann mit der Kleinanzeigenapp von eBay zum Beispiel während des Wartens auf den Bus oder an der roten Ampel mal schnell selber etwas zum Verkauf einstellen.
Über die Chancen der Digitalisierung wird viel gesprochen. Die Mehrheit sucht nach dem Kick, der mich bereits 1987 antrieb: Mit wenig Aufwand Dinge und Leistungen im Internet verkaufen oder kaufen. Das ist der Thrill, der heute nahezu jeden Menschen erreicht hat. Er ist der Treiber der digitalen Wirtschaft – Digitalisierungsbegeisterung und Euphorie allerorten.
Doch die glänzende Platin-Medaille hat eine andere, schattigere Seite. Die (Durch-)Digitalisierung aller Lebensbereiche folgt nicht einem Bedarf der Menschen, sondern wird von der digitalen Wirtschaft zum Bedürfnis der Menschen entwickelt. Wir sind nicht mehr Herr unseres Nutzungsverhaltens, sondern agieren fremdgesteuert, ohne dass vielen von uns das bewusst ist. Mündigkeit wird in einer zunehmend digitalen Welt zur Ausnahme – eine schlechte Entwicklung.
Dies hat Konsequenzen: Dauerablenkung, Burn-Out, weniger Bewegung und ein mobil getriebener Konsum, der uns sofort jedes Konsumbedürfnis befriedigt. Das ist ohne Frage gut für die Akteure in der digitalen Wirtschaft. Aber ist das auch gut für die Menschen? Mitnichten wie zahlreiche Studien der digitalen Mediennutzung zeigen.
So unter anderem aktuell die Studie der DAK (März 2017). Sie zeigt den wachsenden Schlafmangel von Menschen auf, vor allem getrieben durch Allways-On-Verhalten und eine wachsende Verhaltensabhängigkeit. Vier von fünf Menschen haben nachts Probleme durchzuschlafen. Der Hauptgrund: Dauerstress, immer mehr Aufgaben, nicht mehr zur Ruhe kommen.
Das Smartphone ist in diesem Hamsterrad der Turbo, die Ölpipeline direkt in den Brenner. Immer mehr Menschen ist das nächtliche Überprüfen des Akkus in der Nacht wichtiger als das Aufladen des eigenen, inneren Akkus. Perspektivisch ist das zerstörend und führt in den digitalen Burnout – schleichend, unbewusst, und mit einer Selbstlüge: Mein Smartphone macht mich besser, schlauer, effektiver und effizienter. Wir befinden uns im digitalen Hamsterrad, das sich mit einem Ein/Aus-Schalter nicht mehr so einfach abschalten lässt.
Dies hat auch Konsequenzen für Unternehmen: Nach aktuellen Studien aus den Vereinigten Staaten verdaddeln Mitarbeiter einen ganzen Arbeitstag pro Woche mit der privaten Wischerei auf Ihren Smartphones. Der Produktivitätsverlust geht volkswirtschaftlich in die Milliarden. Und die Führungskräfte? Sie haben keine Sensibilität und machen die Augen zu. Oftmals sind sie in Ihrem Digitalverhalten nicht besser. Alarmsignale, die Erziehungsverantwortliche und Vorgesetzte aufhorchen lassen müssen.
Es geht nicht darum die digitalen Medien zu verdammen, denn sie sind ein nicht mehr weg zu denkender Bestandteil unseres Alltags geworden. Es geht vielmehr um die Suche nach einem gesunden Umgang mit dem Lieblingsspielzeug Smartphone, flankiert durch Tablet und Laptop. Kinder oder Erzieher, Mitarbeiter oder Führungskraft, diese Suche ist individuell und abhängig von bestimmten Parametern.
Eine Lösungsstrategie? Abschalten statt Anschalten.
Die private Smartphonenutzung sollte im Unternehmen zum Thema gemacht werden und auf die Agenda der Führungskräfte geschrieben werden. Darin bietet es sich an, das Thema in der gesamten Belegschaft zu sensibilisieren. Dies könnte zentral über die Personalabteilung aber auch dezentral durch Einzelinitiativen in den Funktionseinheiten geschehen. So ist die Nutzung der digitalen Medien zum Beispiel im Marketing deutlich umfangreicher als zum Beispiel in der Buchhaltung. Unternehmen könnten des Weiteren die private Nutzung durch Vereinbarungen mit den Mitarbeitern einschränken. Hier gibt es Erfahrungen, dies sogar in neue Arbeitsverträge einfließen zu lassen. Dieser Prozess sollte auch intern kommuniziert werden. So ließen sich Aufkleber oder Plakate in den Büros platzieren, Botschaft: „Don´t waste your Work-Life!“ Damit betont das Management und die Unternehmensführung die Bedeutung des Themas für die Mitarbeiter. Ein anderes Unternehmen stellt den Mitarbeitern zum Beispiel einen halben Arbeitstag (vier Stunden) zur Verfügung, um eigene Geräte in den Arbeitsprozess zu integrieren (MODP – Make own Device productive). Es können so die neuesten Medienkanäle zum Beispiel im Marketing für das Unternehmen getestet werden. Mit MODP umgeht man das klassische Verbot folglicher Androhung von Sanktionen und nutzt das digitale Potential der Mitarbeiter für die eigene Gechäftsentwicklung.
Welche Alternativen es noch gibt und wie das geht, zeigt der Buchautor und Keynote-Speaker in seinem Vortrag „Wege aus dem Digitalen Hamsterrad“ und in diesem Podcast (http://gerald-lembke.de/podcast/podcast-produktivitaet-sinkt-wegen-smartphones/).